
kompakt: Stahlhandel
Die neue Ausgabe des hww kompakt befasst sich mit der Stahlhandelsbranche. Die Krise des europäischen Stahlhandels geht vor allem zu Lasten des deutschen Mittelstands. Anders als in den bisherigen Ausgaben ist der vorliegende hww kompakt in Kooperation mit White & Case entstanden.
Der europäische Stahlhandel befindet sich seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 permanent im Krisenmodus, und es ist im Hinblick auf die aktuellen Konjunkturprognosen für Asien, Südeuropa und auch Deutschland keine Besserung in Sicht. Daneben verschärfen Zukunftsthemen wie Industrie 4.0 den Wettbewerb.
Als Reaktion auf die Dauerkrise haben sich die Big Player der Stahlbranche nach Jahren des Abwartens nun doch für Downsizing-Maßnahmen entschieden. In diesem Frühjahr plante der indische Stahlkonzern Tata Steel in Großbritannien einen Stellenabbau von 4000 Mitarbeitern.
Überkapazitäten befeuern die Krise
Stahlproduzenten haben auch in Deutschland mit den weltweit bestehenden Überkapazitäten zu kämpfen. Diese haben ihren Ursprung zuvorderst in China. So führte das weltweite Wirtschaftswachstum gerade in den Schwellenländern während der letzten 20 Jahre zu massiven Kapazitätserweiterungen. Insbesondere die chinesische, aber auch die russische Wirtschaft konnten die damit verbundenen Wachstumserwartungen in den folgenden Jahren jedoch nicht halten. Das Resultat waren signifikante globale Überkapazitäten. In deren Folge drangen russische und chinesische Produzenten mit „Kampfpreisen“ auf den europäischen und deutschen Markt. Wie so oft bei Industrien mit Überkapazitäten und hohen Fixkostenanteilen entstand ein ruinöser Verdrängungswettbewerb, in dem nach wie vor Mengen über Preise finanziert werden, was letztendlich noch nie gut ging. Im Gegenteil, deutsche Produzenten und Händler hatten die letzten Jahre preisbedingte Umsatzeinbrüche und erhebliche Bestandsabwertungen zu verkraften.
Für Stahlhändler kommt im Vergleich zu den Stahlproduzenten erschwerend hinzu, dass sie nicht nur einem horizontalen, sondern auch einem vertikalen Verdrängungswettbewerb ausgesetzt sind. So haben Stahlproduzenten zwecks Ersatzgeschäfts und der Margen wegen versucht, die Händler aus der Wertschöpfungskette zu verdrängen.
Die jahrelange Krise des deutschen Stahlhandels ist im Wesentlichen nicht hausgemacht, sondern hat exogene Ursachen. Dagegen ist die zunächst fehlende und dann oftmals ungeeignete Reaktion auf die Krise selbstverschuldet. Viel zu lange hielten die hiesigen Händler an ihren alten Standort- und Logistikkonzepten fest, die alten Geschäftsmodelle sind indes heute ungeeignet, um dem exogenen Preisdruck durch qualitative Differenzierungsmerkmale im Sinne kurzer Lieferzeiten, kundenbezogener Produktportfolios und regional bedarfsgerechter Serviceleistungen nachhaltig entgegenzuwirken.
Europäischer Wirtschaftsprotektionismus allein ist keine Lösung
Als Reaktion auf die Niedrigpreispolitik chinesischer und russischer Importeure schaltete sich die Europäische Union ein. Fraglich ist jedoch, ob Strafzölle und Protektionismus tatsächlich ausreichen, um den hiesigen Preisnachteil auszugleichen. Die Erinnerung an die deutsche Solarindustrie sowie die seinerzeit zu ihrem Schutz angestrengten Maßnahmen gegen chinesische Importe lässt daran zweifeln.
Die Anti-Dumping-Maßnahmen der EU können einen Teilbeitrag zur Stabilisierung des geringen Preisniveaus leisten, zuletzt stiegen die Stahlpreise weltweit sogar wieder an. Die Salzgitter AG, der zweitgrößte deutsche Stahlkocher nach der thyssenkrupp AG, erzielte im ersten Quartal 2016 wieder Gewinne.
Mittelfristig mehren sich gleichwohl Zweifel daran, ob die EU handelsrechtlich, wirtschaftlich und politisch imstande ist, die eigene Stahlbranche dauerhaft gegen den asiatischen Wettbewerb abzuschotten. Denn ein solches Vorgehen würde wie ein Bumerang in Form verschärfter Local-Content-Bestimmungen in China zurückkommen und im Besonderen die europäische Automobilindustrie treffen.
Daseinsberechtigung für mittelständische Stahlhändler
Stahl wird auch zukünftig eine maßgebliche Bedeutung für wichtige deutsche Industriezweige wie die Automobilbranche, den Anlagen- und Maschinenbau sowie die Bauindustrie haben. Die weltweite Stahlnachfrage wird bis 2025 jährlich um ca. 3,3 % steigen. Davon profitieren gleichermaßen die Stahlhändler, für die es auch unterhalb der Top 10 in Deutschland zukünftig genug zu tun geben wird. Sofern die Unternehmen sich richtig positionieren und ihr Geschäftsmodell modernisieren.
Über einen regionalen Radius hinaus wird es unwirtschaftlich, Stahl einzukaufen und zu transportieren. Das galt schon vor Eintritt der Finanzkrise, in Zeiten von schrumpfenden Handelsmargen sind diese Radien allerdings nochmals geschrumpft, und einer intelligenten Logistik kommt eine noch höhere Bedeutung zu. Und genau hierin liegt eine Chance, da die räumliche Nähe zum Kunden nicht durch ausländische Importe zu ersetzen ist.
Hinzu kommt, dass aufgrund des Preis- und Margenverfalls der letzten Jahre der Fokus der Top-10-Stahlhändler zunehmend auf hohen Absatzmengen liegt. Dafür spricht, dass sich die Preisstrukturen und Mengengerüste sowie die dazugehörigen Vertriebswege der großen Anbieter weiterhin verändern. An dem Bedarf kleiner und mittelgroßer Unternehmen, die regelmäßig lediglich geringe Tonnagen, individuell und spezifisch vorgefertigte Teile und Servicestrukturen benötigen, geht diese Entwicklung vorbei. Genau hier hat der mittelständische Stahlhändler mit einem modernen Geschäftsmodell seine Daseinsberechtigung, Tendenz steigend.
Auszug aus: hww kompakt - Thema | Stahlhandel