
Restrukturierung kompakt: Haftung des Eigenverwalters
Endlich haben wir Klarheit: Der Eigenverwalter haftet wie der Insolvenzverwalter. Unser Newsletter Restrukturierung kompakt beschäftigt sich mit dem Gutachten das BGH vom 26. April 2018 und einem Kernthema im Rahmen der Haftungsvermeidung: der laufenden Planung und Kontrolle von Geschäftsbetrieben im Insolvenzverfahren.
Eigenverwalter: Handeln und haften wie ein Insolvenzverwalter
Die Zahl der Insolvenzverfahren, in denen Eigenverwaltung angeordnet wird, nimmt stetig zu. Man kann den Eindruck gewinnen, dass Eigenverwaltung für große und mittlere Unternehmensinsolvenzen der neue Standard ist. Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit sind die Insolvenzverfahren über das Vermögen der Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG und über das Vermögen der Rickmers Holding AG. Ist der Schuldner eine juristische Person oder eine Personengesellschaft, wird die Eigenverwaltung faktisch durch die Vertretungsorgane des Schuldners geführt, die hier vereinfachungshalber als „Eigenverwalter“ bezeichnet werden. Dem Eigenverwalter obliegt es, unter Aufsicht eines Sachwalters den wesentlichen Teil der Aufgaben zu erledigen, die im Falle der Fremdverwaltung dem Insolvenzverwalter übertragen sind.
Wer Pflichten hat, den treffen gemeinhin auch Haftungsrisiken. Während § 274 Abs. 1 InsO klar bestimmt, dass der Sachwalter entsprechend § 60 InsO haften soll, fehlt eine ausdrückliche Regelung dazu, ob und wenn ja wie der Eigenverwalter haftet. Hierzu werden im Grundsatz zwei verschiedene Modelle diskutiert. Nach dem gesellschaftsrechtlichen Modell haftet der Schuldner seinen Gläubigern für das pflichtwidrige Handeln des Eigenverwalters nach den §§ 60, 61 InsO und schuldet der Eigenverwalter der Gesellschaft Schadensersatz (§§ 43 GmbHG, 92, 93 AktG). Nach dem insolvenzrechtlichen Modell haftet der Eigenverwalter den geschädigten Beteiligten dagegen unmittelbar analog den §§ 60, 61 InsO. Mit seiner Entscheidung vom 26.04.2018 (IX ZR 238/17) hat sich der Bundesgerichtshof dem insolvenzrechtlichen Modell angeschlossen. Wer als Eigenverwalter über seine angestammten organschaftlichen Befugnisse hinaus die Aufgaben eines Insolvenzverwalters wahrzunehmen hat, soll auch wie ein solcher haften.
In dem entschiedenen Fall hatte die Schuldnerin, eine GmbH & Co. KG, zwischen der Annahme eines von ihr vorgelegten Insolvenzplans und der Aufhebung des Insolvenzverfahrens beim klagenden Gläubiger Damenoberbekleidung bestellt, die sie später allerdings nicht bezahlte. Nachdem alsbald ein zweites Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH & Co. KG eröffnet worden war, in welchem seine nicht bezahlte Kaufpreisforderung nur noch eine Insolvenzforderung war, verklagte der Gläubiger den im ersten Insolvenzverfahren tätigen Sanierungsgeschäftsführer auf Schadensersatz. Der BGH bejahte eine Haftung des Sanierungsgeschäftsführers analog § 61 InsO und verwies den Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung an die Berufungsinstanz zurück. Das gesellschaftsrechtliche Modell betrachtete der BGH als unzureichend, um den Interessen der Gläubiger zu genügen. Auch eine bisweilen vertretene Haftung des Sanierungsgeschäftsführers unter dem Gesichtspunkt der Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens (§§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 3 BGB) schied nach seiner Auffassung aus. Sachgerecht sei allein eine analoge Anwendung der Vorschriften über die Haftung des Insolvenzverwalters (§§ 60, 61 InsO).
Damit wird der Eigenverwalter nicht nur aufgabenmäßig, sondern auch haftungsmäßig einem Insolvenzverwalter gleichgestellt. Für fehlerhaftes Handeln droht ihm nicht nur eine Haftung gegenüber der Gesellschaft selbst, sondern auch gegenüber deren Gläubigern.
Besondere Bedeutung hat dabei die Haftung analog § 61 InsO, die droht soweit der Eigenverwalter durch einen Vertragsabschluss eine Erfüllungswahl nach § 103 InsO oder die unterlassene Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses Masseverbindlichkeiten begründet, die später nicht erfüllt werden können. Der betroffene Massegläubiger ist vom Eigenverwalter dann so zu stellen, wie er gestanden hätte, wenn der Eigenverwalter die Masseverbindlichkeit nicht begründet hätte, also den neuen Vertrag nicht abgeschlossen, von der Erfüllungswahl abgesehen oder das Dauerschuldverhältnis rechtzeitig gekündigt hätte. Auch wenn sich die Haftung des Eigenverwalters nur auf die primären Erfüllungsansprüche des Massegläubigers und nicht auch auf dessen Sekundäransprüche bezieht, darf dieses Haftungsrisiko nicht unterschätzt werden. Eine Haftung des Eigenverwalters ist in diesen Fällen nur ausgeschlossen, wenn er bei der Begründung der Masseverbindlichkeit nicht erkennen konnte, dass die Masse voraussichtlich zur Erfüllung nicht ausreichen würde (§ 61 Satz 2 InsO analog). Aussagekräftige und fundierte Planrechnungen zu Ergebnis und Liquidität des Unternehmens, die für jede Betriebsfortführung im Eigenverwaltungsverfahren und auch jeden Restrukturierungsansatz ohnehin unverzichtbar sind, gewinnen damit entscheidende Bedeutung auch für die persönliche Haftung des Eigenverwalters. Dasselbe gilt selbstverständlich für das laufende Controlling, ob sich die Wirklichkeit plangemäß entwickelt.
Nach § 60 InsO analog haftet der Eigenverwalter den beteiligten Gläubigern (Insolvenzgläubigern, Massegläubigern, Aussonderungsberechtigten und Absonderungsberechtigten) aber auch dem Schuldner selbst für die Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten, also derjenigen Pflichten, die sich aus den besonderen Aufgaben ergeben, die dem Eigenverwalter als „Ersatz des Insolvenzverwalters“ obliegen. Auch wenn einige Aufgaben, die ansonsten der Insolvenzverwalter hätte, dem Eigenverwalter nicht übertragen sind (beispielsweise die Führung der Insolvenztabelle und die Geltendmachung von Anfechtungsansprüchen), bleiben doch genügend Fallstricke übrig. Gegenüber Aussonderungsberechtigten wie Leasinggebern, Mietverkäufern oder Vermietern besteht beispielsweise die Verpflichtung zur Inbesitznahme und Verwahrung des Aussonderungsgutes bis zur abschließenden Prüfung ihrer Rechte; die irrtümliche Verwertung solchen Aussonderungsgutes ist pflichtwidrig. Im Falle des echten Factoring haftet der Eigenverwalter, soweit gefactorte Forderungen von ihm eingezogen werden und der Erlös anschließend nicht mehr an den Factor abgeführt werden kann. Auch Fehler bei der Verwaltung und Verwertung von Absonderungsgut, die Aufgabe des Eigenverwalters ist (§ 282 Abs. 1 Satz 1 InsO), können zum Schadensersatz verpflichten. Insolvenzforderungen sind vom Eigenverwalter zu prüfen und erforderlichenfalls zu bestreiten (§ 283 Abs. 1 InsO). Für Verkürzungen der Masse durch die unterlassene oder mangelhafte Verwertung der Insolvenzmasse oder die Begründung unnützer Verbindlichkeiten haftet der Eigenverwalter analog § 60 InsO im Falle der Masseunzulänglichkeit den Massegläubigern und im Übrigen den Insolvenzgläubigern. Fehler bei der Verteilung, die nach § 283 Abs. 2 Satz 1 InsO ebenfalls dem Eigenverwalter obliegt, sind eine weitere Haftungsquelle.
In der Praxis kommt es häufiger vor, dass für den Schuldner neben der angestammten Geschäftsführung ein Sanierungsgeschäftsführer berufen wird, der die Rolle des Eigenverwalters praktisch alleine ausüben soll. Eine entsprechende Kompetenzordnung erspart den übrigen Vertretungsorganen aber das Risiko einer eigenen Haftung für die Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten durch den Sanierungsgeschäftsführer wohl nicht.
Ob die Vertretungsorgane des Schuldners eine entsprechende Haftung auch schon im Eröffnungsverfahren als „vorläufige Eigenverwalter“ trifft, macht die Entscheidung des BGH nicht klar. Jedenfalls soweit dem Schuldner die Befugnis erteilt wird, Masseverbindlichkeiten zu begründen, dürfte den vorläufigen Eigenverwalter das Risiko einer Haftung analog den §§ 21 Abs. 2 Nr. 1, 61 InsO treffen.
Wer als (vorläufiger) Eigenverwalter tätig werden will, muss nicht nur denken und handeln wie ein Insolvenzverwalter, sondern auch wie ein solcher haften. Aus Sicht der Beteiligten, auf die es gemäß § 1 InsO auch im Falle der Eigenverwaltung ankommt, ist diese Klarstellung aus Karlsruhe zu begrüßen.
Auszug aus: Restrukturierung kompakt - Thema | Haftung des Eigenverwalters